Mag. Annelies Wass

Die energetische Psychologie

Eine kulturfremde Provokation oder eine zukunftsträchtige Therapieform?

Zum Einstieg eine Geschichte, die keine Geschichte ist: „der Fall Mary (1)

Mary hatte eine schwere Wasserphobie. Sie hatte große Schwierigkeiten , ein Bad zu nehmen und es war ihr unmöglich, bei Regen das Haus zu verlassen. Regelmäßig hatte sie Alpträume von sie verschlingendem Wasser. Trotz Psychotherapie über viele Monate zeigte sich nur eine minimale Besserung. Callahan beschloss, Mary mit einer Variante der diagnostischen Testmethoden aus der Applied Kinesiology, die er gerade bei Diamond erlernte, zu testen. Er ließ sie an Wasser denken, während er den Energiestrom durch die verschiedenen Meridiane prüfte. Dabei entdeckte er eine Blockade des Magenmeridians, die er anschließend durch sanftes Klopfen zu behandeln versuchte. Innerhalb einer Minute stellte Mary fest, dass das Problem weg sei, sie nicht mehr diese ungute Gefühl habe, wenn sie an Wasser denke. Callahan beschloss daraufhin, das Ergebnis in vivo zu testen. Mary ist seither von ihrer Wasserphobie befreit.

Eine scheinbar absurde Behandlung hat Mary geheilt und wurde sozusagen zum Schlüsselereignis für die Weiterentwicklung der Energetischen Psychologie.

Wie kann Heilung durch diese „absurde Behandlung“ passieren und was ist die Energetische Psychologie (EP) – „Scharlatanerie“ , Provokation, ein neues Paradigma?

Eine der Wurzeln der EP liegt in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), die davon ausgeht, dass ein komplexes Energiesystem aktiv an der Aufrechterhaltung unserer Gesundheit beteiligt ist und auch eine entscheidende Rolle spielt bei der Regeneration und Heilung.

Die Energetische Psychologie folgt der Annahme, dass auch Psychopathologien über diese Energiebahnen, die Meridiane, behandelt werden können.

Zur Geschichte der Energetischen Psychologie

Mitte der sechziger Jahre des 20.Jahrhunderts begann der Chiropraktiker George J.Goodheart mit der Ausarbeitung eines gänzlich neuen diagnostischen Ansatzes, der Applied Kinesiology. Die Diagnose – und Behandlungsverfahren der Applied Kinesiology (AK) sprachen das an, was Goodheart als die „fünf Faktoren des Foramen intervertebrale“ bezeichnete: das Nerven-, das Lymph- und das Blutgefäßsystem, das Zusammenspiel der Zerebrospinalflüssigkeit mit der kraniosakralen Primäratmung sowie das Meridiansystem.

Aus der AK entwickelten sich weitere Zweige wie

  • die Clinical Kinesiologie
  • die Educational Kinesiologie
  • die Behavioral Kinesiologie (J.Diamond )

Diamonds Arbeit war der erste Versuch, Psychotherapie – insbesondere Schlüsselelemente aus der Psychoanalyse- in die AK zu integrieren. Seine Technik beinhaltet u.a. Affirmationen, das Klopfen der Thymusdrüse, Imaginationen und das Ausbalancieren der Lebensenergie (Chi).

Der Klinische Psychologe R.Callahan (Schüler Diamonds) entwickelte in den achtziger Jahren seinen eigenen Ansatz:

  • die Thought Field Therapie (TFT)

Die TFT umfasst diagnostische Verfahren zur Feststellung von Meridianungleichgewichten, kombiniert mit dem Klopfen bestimmter Akupunkturpunkte in einer vorgeschriebenen Reihenfolge.

Diamond und Callahan stellten fest, dass das Klopfen von Akupunkturpunkten beim Auflösen negativer Emotionen wie Ängsten, Phobien und schmerzlichen Erinnerungen half. Die TFT (2) l eistete einen Hauptteil der klinischen Forschungsarbeit.

  • die Emotional Freedom Technique (EFT) nach G. Graig ist eine Weiterentwicklung der TFT-Methode.

Die EFT geht davon aus, dass negative Gefühle bzw. Emotionen nicht durch die Erinnerung an eine vergangene traumatische Situation oder Erfahrung hervorgerufen werden, sondern die Erinnerung bzw. das traumatische Erlebnis zu einer Blockade im Energiesystem des Körpers führt. Wenn keine Unterbrechung im Energiesystem verursacht wird, dann kann auch kein negatives Gefühl entstehen, womit erklärt wird, dass Leute unterschiedlich heftig bis gar nicht von ihren Erinnerungen gequält werden können.

Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelten1998 Fred Gallo (3) und Gary Graig ihren eigenen therapeutischen Ansatz der Energetischen Psychologie und trugen dazu bei, dass heute dieses Verfahren weltweit erlernt und begeistert angewendet wird.

Die Energetische Psychologie nach F.Gallo (4) – eine effektive Technik

Die im Folgenden genau beschriebene Technik hat Dr. F.Gallo aus einer Synthese von Konzepten der Hypnotherapie, des NLP, der Angewandten Kinesiologie, dem EMDR, sowie Interventionen, die aus der Akupunktur/Akupressur abgeleitet sind, und der modernen Hirnforschung entwickelt.

Gallo gilt inzwischen als einer der weltweit führenden Experten und Lehrtrainer auf dem Gebiet der Energetischen Psychotherapie und ist Autor mehrere Fachbücher.

Ausgehend von der empirisch unterstützten Annahme, dass ein körpereigenes Energiesystem existiert, das direkt an der Wurzel von Krankheit und Gesundheit aktiv ist und ausgestattet mit dem Wissen, dass der psychischen Störung eine Störung in diesem Energiesystem zugrunde liegt, konnte diese Behandlungstechnik präzis entwickelt werden. Negative Erlebnisse, belastenden Beziehungserfahrungen, Traumata… schwächen demzufolge das Energiesystem, was dazu führt, dass sich eine Symptomatik im Sinne eines negativen dysfunktionalen Gefühls entwickelt und als quasi energetische Narbe persistiert.

Grundannahmen der Energetischen Psychologie

Der Vorstellung nach geschieht die Veränderung während der Behandlung auf energetischer Ebene durch die Aktivierung von Bio-Energie-Feldern bzw. durch Ausbalancieren der zuvor dysbalancierten Meridiane. Durch „Beklopfen“ der jeweiligen Akupunkturpunkte werden im Körper Energieblockaden aufgelöst, die bislang auch zur Verfestigung problemstabilisierender Glaubens- und Wahrnehmungsmuster beigetragen haben.

Neben den direkt subjektiv spürbaren Belastungen durch dysfunktionale Gefühle wie Angst, Traurigkeit, Ärger…spielen Glaubenssätze oder Kernüberzeugungen eine wesentliche Rolle, da sie „Heilung“ blockieren können.

Kernüberzeugungen oder Glaubenssätze werden in der EP Psychische Umkehr genannt.

Bei der Psychischen Umkehr handelt es sich aus Sicht der EP um eine sogenannte Selbstsabotage, einen inneren Zustand der Verneinung.

Das körpereigene Energiesystem reagiert mit

  • Schwächung überall dort, wo es um „Heilung/Zielerfüllung“ geht und mit
  • Stärkung bei allem, was zur Problemstabilisierung beiträgt.

Aus psychoanalytischer Sicht dürfte es sich am ehesten um das Konzept des Widerstandes handeln.

Die Behandlung in der Energetischen Psychologie

Geht man davon aus, dass jedes seelische und körperliche Problem sich in einer Störung des freien Energieflusses durch die Meridiane niederschlägt, liegt es nahe, die Blockaden zu lösen. Dabei kommt der Auflösung Psychischer Umkehrungen (PU) eine Schlüsselrolle zu. Besteht eine PU, können – wie bereits erwähnt – unbewusste Beweggründe den erklärten Zielen zuwider laufen und eine erfolgreiche Behandlung blockieren. Die Auflösung bestehender Umkehrungen geschieht durch ein besonderes diagnostisches Vorgehen und ist grundsätzlich jeder weiteren Behandlung vorangestellt.

Zu Beginn jeder Behandlung ist es wichtig, das belastende Thema einzugrenzen und im Erleben des Klienten neuronal über verschiedene Sinneskanäle zu aktivieren. Belastende Themen können u.a. ein traumatisches Erlebnis, eine spezifische Angst oder ein anderer dysfunktionaler Affekt sein.

Über eine Technik – den sogenannten Verweilmodus – können „Ganzkörperinformationen“ präsent gehalten werden, ohne dass der Klient bewusst an das Problem denken und den damit zusammenhängenden Stress wieder erleben muss.

Die aktuelle Belastung wird mittels SUD ( Subjektive Units of Distress) gemessen. Danach folgt eine energetische Diagnostik hinsichtlich der Veränderungsökologie mittels Muskeltest.

Liegen Heilungsblockaden im Sinne der psychischen Umkehr vor, werden diese behandelt.

Nach Gallo gibt es verschiedene Formen der psychischen Umkehr, die es über bestimmte Verfahren auszutesten gilt, um ein effektives Behandlungsziel zu erreichen.

Je nach Prozessverlauf der Behandlung wird unterschiedlich und entsprechend interveniert.

Durch Beklopfen bestimmter Meridianpunkte ist dann zu beobachten, dass der Erinnerungsanteil eines Gedankenfeldes zwar erhalten bleibt, der energetische Anteil, der die psychische Belastung verursacht, sich auflöst und in Folge eine deutliche klinische Besserung eintritt. In diesem Sinne handelt es sich bei der energetischen Behandlung um eine ursächlich wirksame Heilbehandlung.

Auch wenn die beschriebene Vorgehensweise zeitlich aufwendig klingen mag, können oft in wenigen Minuten die wesentlichen Heilungsblockaden gefunden und behandelt werden.

Dies ist, wenn man die Hartnäckigkeit solcher Blockaden aus anderen Therapierichtungen kennt, zunächst einmal schwer vorstellbar.

Die Energetische Psychologie stellt mit ihren sehr gezielten Fragen eine Technik zur Verfügung, die gleichsam „Probebohrungen“ in das unbewusste psychodynamische Konfliktfeld darstellen.

In der Regel behandelt der Klient sich selbst über das Klopfen der jeweiligen Punkte. Einzelne Interventionen können nach Einübung dann vom Klienten in Stresssituationen direkt angewendet werden, was wiederum das Selbstwirksamkeitsgefühl erhöhen kann. Gerade von Klienten mit Panikattacken wissen wir, wie das Gefühl der Ohnmacht, das Ausgeliefertsein, die Angst verstärken kann.

Anwendungsbereiche der Energetischen Psychologie

Die Energetische Psychologie zeigt stabile klinische Erfolge bei einem breiten Spektrum von Symptomen. Sie unterstützt bei der Behandlung von Ängsten, Panikattacken, Phobien, traumatischen Erfahrungen (PTSD), Depressionen sowie Schmerzzuständen (5) und lässt sich praktisch in alle üblichen Behandlungssettings integrieren.

Darüber hinaus kommt die EP erfolgreich zum Einsatz in der Lernpädagogik und in der Sportpsychologie.

Sie ist keine eigenständige Therapiemethode, aber ein ergänzendes therapeutisches Instrument.

Da sich über die Behandlung oft schnell wirksame Selbstheilungsprozesse ergeben, steht die Energetische Psychologie somit in der Tradition der lösungsorientierten Kurzzeitverfahren.

Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet steht die Energetische Psychologie noch vor der Aufgabe, ihre wissenschaftliche „Existenzberechtigung“ nachzuweisen.

„Lebe die Veränderung, die du für die Welt anstrebst“ (Mahatma Ghandi)

Mag. Annelies Wass, Gesundheitspsychologin
MA bei Zellkern, Beratungsstelle Hallein
Certified Practitioner ED&TM
Ausbildung bei Dr.Fred Gallo (2005/2006)
annelieswass@gmx.at

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[1] Callahan,R.J.(1990), The Rapid Treatment of Panic, Agoraphobia and Anxiety, Indian Wells
[2] Gallo,F., Vincentzi, H., 2000, Energy tapping, VAK-Verlag
[3] Gallo, F., 1999, Energetische Psychologie, VAK-Verlag
[4] Gallo, F., 2000, Handbuch der Energetischen Psychotherapie, VAK-Verlag
[5] www.energetischepsychologie.at