DSA Judith Söllradl, MSc

Angst und Schmerz bei schwerer Krankheit

Wenn wir mit einer schweren, vielleicht sogar lebensbedrohlichen Krankheit konfrontiert werden, ist es, als ob uns der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Wir sind erschüttert. Ängste tauchen auf, weil für uns Wertvolles, Lebenswichtiges, unsere Gesundheit, unser Leben, in Gefahr ist. Wir erleben uns als bedroht, denn wir möchten leben! Wir fühlen uns schutzlos, ausgeliefert, machtlos, wie vor einem tiefen Abgrund.

Wir haben Angst, weil durch schwere Krankheit die Endlichkeit – und mit ihr letztlich auch der mögliche Tod – als Bedrohung so plötzlich ins Leben „hereinbricht“. Wir fragen uns: „War es das, mein bisheriges Leben? War das alles?“ oder „Werde ich es überleben?“.

Natürlich werden wir auf der somatischen Ebene vorerst alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der medizinischen Behandlungen nutzen. Dafür gibt es hierzulande ein breites Angebot und gute medizinische Versorgung und Hilfestellungen.

Es ist jedoch auch wichtig, die psychisch-geistige Ebene nicht außer Acht zu lassen. Die Angst wird ein „ungebetener Gast“, wenn wir uns dem Lebensbedrohlichen nicht gewachsen fühlen. Durch die Belastungen einer schweren Krankheit kann die Angst aufgerührt werden und manchmal sogar lähmend, erschreckend oder panikartig Denken, Handeln, und Fühlen beeinträchtigen.

Ich schreibe in diesem Beitrag bewusst „wir“, weil ich damit ausdrücken möchte, dass wir alle von schwerer oder chronischer Krankheit betroffen sein können. Wenn wir im Moment vielleicht nicht persönlich betroffen sind, erleben wir Betroffenheit meist im Laufe unseres Lebens als Angehörige oder Freunde. Und auch als Angehörige oder Nahestehende haben wir Ängste: Angst, jemanden zu verlieren, Angst davor unsere Lieben leiden zu sehen oder Angst davor selbst vielleicht später einmal schwer krank zu werden. Dadurch werden wir an unsere eigene „Verwundbarkeit“ und „Endlichkeit“ erinnert.

Kommen zur Krankheit noch schwere lang anhaltende Schmerzen dazu, stoßen wir an eine andere Grenze: die Grenze des Erträglichen. Wenn wir an Schmerzen leiden, kann das Leben für uns unerträglich werden. Angesichts dieser unerträglichen Schmerzen kann es sein, dass wir das Gefühl haben, das Leben so nicht mehr aushalten zu können.

Es braucht daher neben dem medizinischen Angebot auch eine Hilfestellung bei der Bewältigung der Ängste und Schmerzen bei schweren Krankheiten.

Was kann uns behilflich sein bei der Angst- und Schmerzbewältigung?

Meist erleben wir als ersten Impuls den Wunsch, die Krankheit und die Schmerzen weghaben zu wollen. Das wäre subjektiv das einfachste und beste und jedem zu wünschen. Leider kann dieser Wunsch oft nicht erfüllt werden.

DDr. Alfried Längle sagt in einem Referat (DPA 48,708, (1994)) zum Thema Angst- und Schmerzbewältigung bei schwerer Krankheit, dass Leugnung und Abwehr uns eine persönliche Auseinandersetzung mit unserem Leiden verunmöglichen und nicht selten zu Aggression, Depression oder Suizidalität führen. Daher ist als Basis für die Bewältigung der Angst und des Schmerzes wichtig, dass wir als ersten Bewältigungsschritt eine gewisse Akzeptanz finden und es (her)annehmen, dass es so ist. „Ich habe (vorerst) Angst und/oder Schmerzen.“ Was hier so einfach gesagt ist, ist nicht leicht. Diese Haltung „Es ist übel was ist, aber es ist“, ist eine große Herausforderung. Dieses Annehmen der Tatsache des bestehenden Leides bedeutet jedoch in keiner Weise, sich damit abzufinden und es dabei zu belassen. Im Gegenteil: das Annehmen der Tatsache bedeutet nicht das Ende, sondern ermöglicht einen Neuanfang. Der zweite Bewältigungsschritt besteht im „Finden der inneren Freiheit“. Wir sind jetzt persönlich gefragt: „Wie gehe ich um mit meiner Angst und meinem Schmerz?“ Wie viel Freiheit bleibt uns noch? Wir können „verzweifeln, die Hoffnung aufgeben und resignieren, wir können jammern und klagen, oder es möglichst vielen erzählen, wie schlecht es uns geht oder uns ganz zurückziehen, mit niemandem darüber reden, uns verschließen und niemand mehr sehen wollen oder wir können einfach nicht mehr leben wollen.“ Wir können aber auch versuchen, die Hoffnung und Zuversicht zu bewahren, uns Menschen unseres Vertrauens suchen mit denen wir über unsere ganz persönlichen Anliegen und Ängste sprechen oder uns an eine(n) professionelle(n) HelferIn (z.B. Psychotherapeuten/In) wenden.

Das Erlangen einer persönlichen Einstellung ist schließlich Voraussetzung zur vollen Bewältigung. Viele Menschen zeigen es auf großartige Weise, dass sie bereit sind, Schmerzen und Ängste zu ertragen und auszuhalten, weil sie trotz Ängsten und Schmerzen für etwas, das sie als wertvoll (sich selbst, Kinder, Lebenspartner, Freunde, Gott) erleben, weiterleben wollen. Schaffen wir es, diese persönliche Haltung zum Leben zu finden und zu leben, so kann von einer persönlichen Bewältigung gesprochen werden.